Entscheidungsverhalten, Empathiefähigkeit und Moralität bei Psychopathy: Bieten die empirischen Befunde neue Aspekte im Hinblick auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit?
D. Schmoll
Bei Psychopathy handelt es sich um ein in den letzten Jahren intensiv beforschtes, dimensionales Konstrukt, das sich nur teilweise mit den in ICD-10 operationalisierten dissozialen Persönlichkeitsstörungen überschneidet. Bisher wird den Betroffenen in der Regel keine verminderte Schuldfähigkeit zuerkannt, da ihnen die Fähigkeit zur Anpassung an Normen zugeschrieben wird – es sei denn, es bestehen ausgeprägte impulsive oder schon in einer frühen Entwicklungsphase einsetzende dissoziale Verhaltensweisen. Aus einer deterministisch-neurobiologischen Perspektive wird diese Einschätzung kritisiert. Die wesentlichen empirischen Forschungsergebnisse zu Entscheidungsverhalten, Empathiefähigkeit und Moralität bei Psychopathy werden daraufhin befragt, ob sie für die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit neue Aspekte bieten. Es zeigt sich, dass die unter Laborbedingungen gefundenen Einschränkungen des Entscheidungsspielraums und des emotionalen Empathievermögens schwer auf praktische Lebensentscheidungen übertragbar sind, insofern Kompensationsmöglichkeiten nicht ausreichend in den Blick geraten. Vergleichsuntersuchungen mit nicht kriminellen Probanden, bei denen die Kriterien der Psychopathy vorliegen, sprechen dafür, dass einzelne dieser Auffälligkeiten nicht zwangsläufig zu dissozialem Verhalten führen müssen. Eine Störung der moralischen Urteilsfähigkeit lässt sich nicht nachweisen, sodass als Erklärung für kriminelles Verhalten bei Psychopathy am ehesten erlernte motivationale Faktoren (Suche nach Risiko und schnellem Vorteil) infrage kommen. Insofern können die aktuellen Befunde zwar unser Wissen über pathogenetische Zusammenhänge erweitern, rechtfertigen aber nicht, von der bisherigen Praxis der Schuldfähigkeitsbeurteilung abzuweichen.